Das Geräusch der Hantel, die in einem Guss über den Kopf schnellt. Die absolute Stille im Lockout. Der Snatch, oder das Reißen, ist nicht nur eine Übung – er ist der Inbegriff von Kraft, Präzision und Athletik. Viele Athleten träumen davon, diesen komplexen Lift zu beherrschen, doch scheitern oft an seiner technischen Komplexität.
Falsche Technik führt zu Frustration, stagnierenden Gewichten und im schlimmsten Fall zu Verletzungen. Aber das muss nicht sein. Dieser Guide ist dein persönlicher Coach. Wir zerlegen den Snatch in verständliche Phasen und geben dir die Werkzeuge an die Hand, die du für eine saubere und starke Ausführung brauchst.
- Der Snatch ist eine Ganzkörperübung, die explosive Kraft, Koordination und Mobilität wie keine andere schult.
- Die Technik lässt sich in sechs Phasen unterteilen: Setup, erster Zug, Übergang, zweiter Zug, Fangen und Aufstehen.
- Voraussetzungen wie gute Sprunggelenks-, Hüft- und Schulterbeweglichkeit sind für eine sichere Ausführung unerlässlich.
- Häufige Fehler, wie ein zu früher Armeinsatz oder ein falscher Hantelweg, lassen sich mit gezielten Übungen korrigieren.
Was ist der Snatch (das Reißen) überhaupt?
Der Snatch ist eine der beiden Disziplinen im olympischen Gewichtheben. Das Ziel ist es, eine Langhantel in einer einzigen, ununterbrochenen Bewegung vom Boden direkt über den Kopf zu befördern und dort in einer Hockposition zu stabilisieren. Aus dieser tiefen Hocke, dem sogenannten Overhead Squat, steht der Athlet anschließend auf und vollendet den Lift.
Was diese Übung so besonders macht, ist die einzigartige Kombination der geforderten Fähigkeiten. Sie verlangt nicht nur rohe Kraft, sondern vor allem Explosivität – die Fähigkeit, in kürzester Zeit maximale Kraft zu entwickeln. Gleichzeitig sind höchste Koordination, perfektes Timing und ein hohes Maß an Mobilität gefragt.
Warum der Snatch deine Athletik auf ein neues Level hebt
Fragst du dich, warum du diesen komplizierten Lift lernen solltest? Ganz einfach: Kaum eine andere Übung hat einen so umfassenden Übertrag auf deine allgemeine sportliche Leistungsfähigkeit. Wenn du den Snatch beherrschst, entwickelst du die explosive Kraft eines Sprinters, die Stabilität eines Turners und die Körperbeherrschung eines Kampfsportlers.
Diese Übung schult dein zentrales Nervensystem, schneller und effizienter zu arbeiten. Du lernst, deine Muskelketten vom Fuß bis in die Fingerspitzen als eine Einheit zu aktivieren. Das Ergebnis: Du wirst nicht nur im Gewichtheben stärker, sondern auch schneller im Sprint, höher im Sprung und stabiler in jeder anderen Sportart.
Die Voraussetzungen: Bist du bereit für den Snatch?
Bevor du dich an die Langhantel wagst, ist ein ehrlicher Check deiner Grundlagen nötig. Der Snatch verzeiht keine Mängel in Beweglichkeit oder Grundkraft. Wer hier Abkürzungen nimmt, riskiert Verletzungen und entwickelt eine fehlerhafte Technik, die später nur schwer zu korrigieren ist. Deine Checkliste sollte die folgenden Punkte umfassen.
- Tiefe und stabile Hocke: Du musst in der Lage sein, eine tiefe Kniebeuge mit aufrechtem Oberkörper auszuführen, ohne dass die Fersen vom Boden abheben oder der Rücken rund wird.
- Overhead Squat (Überkopfkniebeuge): Eine saubere Überkopfkniebeuge mit einem Besenstiel oder einer leeren Stange ist die absolute Grundvoraussetzung. Sie testet deine Schulter-, Brustwirbelsäulen- und Hüftbeweglichkeit.
- Gute Rumpfspannung: Du musst in der Lage sein, während einer Bewegung konstant Spannung im gesamten Rumpf zu halten (Bracing).
- Grundverständnis des Kreuzhebens: Die erste Phase des Lifts, der erste Zug, ähnelt stark dem Kreuzheben. Eine saubere Technik hier ist die Basis.
Die 6 Phasen des Snatch: Schritt für Schritt zerlegt
Der Snatch wirkt wie eine einzige, fließende Bewegung. Um ihn zu meistern, müssen wir ihn jedoch wie ein Uhrmacher in seine Einzelteile zerlegen. Jede Phase baut auf der vorherigen auf – ein Fehler am Anfang zerstört den gesamten Lift. Lass uns die Bewegung vom Boden bis über den Kopf genau analysieren. Diese Prinzipien der Kraftentwicklung sind ein Kernbestandteil in jedem guten Crosstraining Guide.
Phase 1: Das Setup – Die Basis für alles
Alles beginnt mit einer soliden Basis. Deine Füße stehen etwa hüft- bis schulterbreit, die Zehen zeigen leicht nach außen. Um deine perfekte Griffweite zu finden, stelle dich aufrecht hin und greife die Stange so weit, dass sie bei gestreckten Armen genau in deiner Hüftbeuge liegt. Dies ist dein individueller Snatch-Griff.
Unerlässlich für schwere Gewichte ist der Daumengriff (Hook Grip). Lege deinen Daumen um die Stange und klemme ihn mit deinem Zeige- und Mittelfinger fest. Das fühlt sich anfangs unangenehm an, verhindert aber, dass sich die Hantel in deiner Hand dreht und der Griff während der explosiven Phase aufgibt. Sieh es als notwendige Investition in deine Stabilität.
Schiebe deine Hüfte nach hinten und unten, bis deine Schultern direkt über oder minimal vor der Hantelstange sind. Dein Rücken ist absolut gerade und unter Spannung, die Brust zeigt nach vorne („stolze Brust“). Baue eine massive Rumpfspannung auf, als würdest du einen Schlag in den Bauch erwarten. Deine Arme sind lang, die Ellenbogen zeigen nach außen. Dein Blick ist neutral nach vorne gerichtet.
Phase 2: Der erste Zug (First Pull) – Geduld ist der Schlüssel
Der erste Zug vom Boden bis knapp über die Knie ist ein Akt der Kontrolle, nicht der Geschwindigkeit. Deine Aufgabe ist es, die perfekte Position für die explosive Phase vorzubereiten. Der häufigste Fehler ist, die Hantel vom Boden zu reißen. Sei geduldig und denke daran, den Boden von dir wegzudrücken, anstatt die Hantel hochzuziehen.
Schultern und Hüfte müssen sich gleichzeitig anheben. Der Winkel deines Rückens zum Boden bleibt also konstant. Dies stellt sicher, dass du die Beine und nicht den unteren Rücken für die Arbeit nutzt. Die Stange gleitet währenddessen an deinen Schienbeinen entlang nach oben – wenn du am Ende des Trainings keine leichten Schrammen oder zumindest Kreidespuren hast, war sie zu weit von dir entfernt.
Phase 3: Der Übergang (Transition) – In Position bringen
Sobald die Hantel deine Knie passiert hat, beginnt die kurze, aber wichtige Übergangsphase. Du ziehst die Stange nun aktiv an deinen Oberschenkeln nach oben. Gleichzeitig schiebst du deine Knie wieder unter die Stange (der „Scoop“ oder „Double Knee Bend“) und richtest deinen Oberkörper auf. Du lädst die Feder für die bevorstehende Explosion.
Diese Phase endet in der sogenannten „Power Position“. Hier befindet sich die Stange hoch am Oberschenkel, dein Oberkörper ist fast aufrecht, und dein Gewicht ist fest auf dem ganzen Fuß verteilt. Du bist jetzt in der optimalen Position, um maximale vertikale Kraft zu erzeugen. Von hier aus gibt es kein Zurück mehr.
Phase 4: Der zweite Zug (Second Pull) – Die Explosion
Jetzt entlädst du die gesamte gespeicherte Energie in einer einzigen, brutalen Bewegung. Streck deine Hüften, Knie und Fußgelenke explosiv und vollständig. Stell dir vor, du willst mit den Füßen ein Loch in den Boden stampfen. Diese dreifache Streckung (Triple Extension) ist der Motor des gesamten Lifts und das Herzstück im olympischen Gewichtheben.
Die Kraft kommt zu 100 % aus den Beinen und der Hüfte, nicht aus den Armen. Durch die Wucht der Streckung wird die Hantel nach oben katapultiert. Deine Arme bleiben so lange wie möglich gerade und locker wie Seile. Erst wenn die Streckung abgeschlossen ist und die Hantel quasi schwerelos wird, zuckst du kraftvoll mit den Schultern (Shrug), um die Stange noch höher zu beschleunigen und aktiv den Weg unter die Hantel einzuleiten.
Phase 5: Das Fangen (Catch) – Sei schneller als die Schwerkraft
Sobald die Hantel ihren höchsten Punkt erreicht hat, beginnt der Wettlauf nach unten. Dies ist kein passives Fallenlassen – es ist ein aktiver Zug unter die Stange. Du musst schneller sein als die Schwerkraft. Anstatt die Hantel auf dich herabfallen zu lassen, ziehst du dich mit aller Kraft unter sie, um sie so tief wie möglich in der Hocke zu empfangen.
Während du dich nach unten bewegst, springen deine Füße blitzschnell von der hüftbreiten Zugposition in deine etwas breitere Kniebeugeposition. Gleichzeitig stößt du die Arme aggressiv durch und „stanzt“ dich unter der Hantel fest. Ziel ist es, in einer grundsoliden Overhead Squat Position zu landen, mit der Hantel direkt über deinem Körperschwerpunkt, den Armen komplett gestreckt und den Schultern aktiv stabilisiert.
Phase 6: Das Aufstehen & Stabilisieren (Recovery)
Der Lift ist noch nicht vorbei. Du befindest dich nun in der tiefsten Position der Überkopfkniebeuge. Von hier aus ist absolute Kontrolle gefragt. Halte die Rumpfspannung, drücke weiterhin aktiv gegen die Hantel und richte dich kraftvoll aus den Beinen auf. Der Oberkörper bleibt so aufrecht wie möglich.
Wenn du vollständig aufgestanden bist, bringst du deine Füße wieder zusammen in eine hüftbreite Position. Zeige für einen Moment klare Kontrolle über das Gewicht, bevor du die Hantel sicher und kontrolliert fallen lässt. Herzlichen Glückwunsch, du hast den Snatch gemeistert.
Die häufigsten Fehler beim Snatch – und wie du sie vermeidest
Die Theorie der sechs Phasen zu kennen ist eine Sache. Sie unter Druck mit steigendem Gewicht perfekt umzusetzen, eine ganz andere. Der Weg zu einem sauberen und schweren Snatch ist oft von denselben typischen Fehlern geprägt. Doch keine Sorge, fast jeder Athlet kämpft mit diesen Hürden.
Das Erkennen dieser Fehler ist der erste und wichtigste Schritt zur Verbesserung. Im Folgenden zerlegen wir die häufigsten Technikprobleme, erklären ihre Ursachen und geben dir konkrete Drills und Korrekturübungen an die Hand. Sieh diesen Abschnitt als deinen persönlichen Troubleshooter, mit dem du Plateaus durchbrichst und deine Technik auf das nächste Level hebst. Viele dieser Korrekturen basieren auf fundamentalen Crosstraining Übungen, die deine Kraft und Koordination verbessern.
Fehler 1: Die Hantel schwingt nach vorn (Bar Looping)
Beobachtest du, wie die Hantel in einem Bogen von dir wegfliegt, anstatt nah am Körper aufzusteigen? Das ist ein klassischer Power-Killer. Er zwingt dich, nach vorne zu springen, um die Hantel zu fangen, was zu einem instabilen und oft gescheiterten Versuch führt. Die Ursache liegt meist in der Hüftstreckung: Du stößt die Hüfte nach vorn gegen die Stange, anstatt dich vertikal nach oben zu strecken.
Die Korrektur: Fokussiere dich auf Snatch High Pulls. Bei dieser Übung ziehst du die Hantel so hoch wie möglich, ohne unter sie zu gehen. Das Ziel ist, die Ellenbogen hoch und nach außen zu führen und die Stange dabei so nah am Körper zu halten, dass sie fast dein T-Shirt streift. Aktiviere bewusst deinen Latissimus, um die Stange an dich „heranzuziehen“.
Fehler 2: Zu früher Armeinsatz (Early Arm Bend)
Deine Arme beugen sich, bevor deine Hüfte vollständig gestreckt ist? Damit sabotierst du die gesamte Kraftübertragung. Die Kraft des Snatch kommt aus den Beinen und der Hüfte, nicht aus den Armen. Ein früher Armeinsatz ist wie der Versuch, ein Auto mit einem Seil zu ziehen, bevor es rollt – ineffizient und anstrengend. Dieser Fehler entsteht oft aus Ungeduld und dem falschen Impuls, das Gewicht „hochheben“ zu wollen.
Die Korrektur: Übe Tall Snatches. Starte im aufrechten Stand, gehe auf die Zehenspitzen und zucke mit den Schultern. Von diesem höchsten Punkt ziehst du dich aktiv und schnell unter die Stange in die Hocke. Diese Übung isoliert die letzte Phase und lehrt deine Arme, erst dann zu arbeiten, wenn es Zeit ist, dich unter die Hantel zu bewegen. Auch verschiedene Langhantel-Komplexe, die den Zug betonen, können hier helfen.
Fehler 3: Die Hüfte steigt zu schnell
Wenn sich deine Hüfte beim Abheben vom Boden deutlich schneller als deine Schultern anhebt, verändert sich dein gesamter Bewegungsablauf negativ. Der Lift wird zu einer Art steifbeinigem Kreuzheben mit anschließendem Reißen, was enormen Stress auf den unteren Rücken legt und die Kraft aus den Beinen ungenutzt lässt. Dies ist oft ein Zeichen für eine schwache Oberschenkelmuskulatur oder mangelnde Ansteuerung.
Die Korrektur: Integriere Tempo Snatches in dein Training. Führe den ersten Zug vom Boden bis zum Knie extrem langsam aus, zum Beispiel über 3 bis 5 Sekunden. Diese Verlangsamung zwingt dich, die korrekte Position zu halten und den Druck über den gesamten Fuß zu spüren. Du lernst, den Lift mit den Beinen zu beginnen und den Rückenwinkel konstant zu halten.
Fazit: Dein Weg zum perfekten Snatch
Den Snatch zu meistern, ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist eine Reise, die Geduld, Hingabe und ein tiefes Verständnis für den eigenen Körper erfordert. Die sechs Phasen und die Korrekturen für häufige Fehler sind deine Landkarte auf diesem Weg. Erinnere dich daran, dass Technik immer Vorrang vor Gewicht hat. Eine saubere Wiederholung mit der leeren Stange ist wertvoller als ein unsauberer Versuch mit hohem Gewicht.
Filme deine Lifts, analysiere sie kritisch und sei nicht frustriert von Rückschlägen – sie sind Teil des Prozesses. Integriere die hier gezeigten Drills in dein Aufwärmprogramm und deine Technik-Einheiten. Mit Beständigkeit und dem Fokus auf saubere Bewegungsmuster wirst du nicht nur deine Gewichte steigern, sondern eine Athletik entwickeln, die sich auf alle Bereiche deines Trainings überträgt. Ein strukturierter Trainingsplan ist dabei der Schlüssel zu nachhaltigem Fortschritt.
Häufig gestellte Fragen
Mit welchem Gewicht sollte ich anfangen, den Snatch zu lernen?
Beginne ausschließlich mit einem PVC-Rohr oder einem Besenstiel. Wenn diese Bewegung sitzt, wechsle zur leeren Langhantel. Gewicht ist anfangs irrelevant; es geht einzig und allein darum, den Bewegungsablauf Hunderte Male sauber zu wiederholen und im Muskelgedächtnis zu verankern.
Ist der Hook Grip wirklich notwendig?
Ja, absolut. Für schwere Gewichte ist der Daumengriff (Hook Grip) eine nicht verhandelbare Grundlage. Er sichert die Hantel gegen das Rotieren in der Hand und ermöglicht eine bessere Kraftübertragung. Gewöhne dich so früh wie möglich an das unangenehme Gefühl – es zahlt sich aus.
Wie oft pro Woche sollte ich den Snatch trainieren?
Für einen Anfänger im Crosstraining sind ein bis zwei Technik-Einheiten pro Woche ideal. Der Fokus sollte dabei auf wenigen, qualitativ perfekten Wiederholungen liegen, nicht auf muskulärer Erschöpfung. Im Gewichtheben gilt mehr als irgendwo sonst: Qualität schlägt immer Quantität.

